Jahr 2008

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foyer 15.05.2008

Das Kulturjournal für Bremen und den Nordwesten

Dr. Sabine Komm

 

 

Grenzenlose Farbräum

Ihr Atelier ist nicht leicht zu finden in diesem Dorf an der Bundesstraße Richtung Osterholz. Wer bei einem der Bauernhöfe linker Hand abbiegt, gelangt zu dem alten Stall, eigentlich ein großzügiger Raum. Doch der Malerin ist es auch hier zu eng geworden. Bärbel Steffens malt gern sehr groß.

Ein lebendiges Künstlerhaus wäre nichts für sie. „Hier arbeit kein anderer Kollege. Hier nervt niemand“, sagt sie. „Ich brauche Totenstille.“
Weil das Nordfenster verhältnismäßig klein ist. holt sie sich mit einem Spiegel zusätzliches Licht ins Atelier. Hier arbeitet sie an ihrem neuesten Werk, einer zehnteiligen Arbeit.
Auf die Leinwände am Boden malt sie mit langen Pinseln Farblinien, die an asiatische Schriftzeichen erinnern. Obwohl diese Linien später wieder übermalt werden, prägen sie Bärbel Steffens Farblandschaften. Ihre Kompositionen enden keineswegs an den Rändern, sondern ließen sich endlos in den Raum fortsetzen. Es sind Arbeiten, die Berührungspunkte mit der Stilrichtung des lnformel haben. Auch Maler wie Winfried Gaul, Emil Schumacher und Antoni Täpies haben die Darstellung von Objekten oder Menschen abgelehnt und nur noch abstrakt gemalt.
Willi Baumeister hat diese Art zu malen geprägt: „Der originale Künstler verlässt das Bekannte und das Können. Er stößt bis zum Nullpunkt vor. Hier beginnt sein hoher Zustand.” Bärbel Steffens Malerei ist aber auch offen für asiatische Einflüsse. etwa gegenüber der GRENZENLOSE FARBRÄUME philosophischen Weltanschauung des Taoismus. Die überlegte Auseinandersetzung vieler Asiaten mit Vergänglichkeit und der entspanntere Umgang mit dem Tod faszinieren sie.
Der Bremer Galerist Chris Steinbrecher interpretiert Bärbel Steffens Werke deshalb als eurasisches Bündnis: „Die geistige Tiefe des Taoismus verbunden mit europäischer Schwere und der ungestümen Freiheit des lnformel schaffen Farb- und Formwelten von eigentümlicher Ausdruckskraft.”
Bärbel Steffens malt nicht spontan. Sie braucht Wochen und Monate für eine Werkgruppe. Die Suche nach Raum und Rhythmus ist bei ihr ein Prozess. Immer wieder aufs Neue trägt sie mit Spachtel, Pinseln und Schwämmen Ölfarbe auf, solange, bis eine reliefartige Struktur entsteht. Andere Stellen lässt sie hingegen so, wie sie sind. lnmitten der Schicht um Schicht aufgetragenen Farbkomposition wirken sie wie auf die Leinwand gestempelt.
Wenn sie vor der Leinwand sitzt und weint, weil sie mitten im Werkprozess nicht mehr weiterkommt, muss sie erst einmal eine Pause machen. Dann geht sie eine Stunde auf und ab, um loszukommen von der Welt. In solchen Phasen der Verunsicherung schreibt sie auf, was sie fühlt. „Heute ist es ein Kampf “, heißt es in ihrem Tagebuch. „Die Farben gleiten nicht so, wie ich es gern hätte. Auf Tiefe habe ich verzichtet, da die Farbkombination eigenwillig ist, mich anregt und beruhigt zugleich und mich zu immer wieder Hinsehen bewegt.“ Aber es gibt auch Tage, an denen alles fließt, etwa bei ihrem Bild „Shima“. „So kann es auch sein, mit sanftem Abschluss, Freude“, steht dann im Tagebuch. „Shima“ bedeutet Insel. Erdtöne von beige bis schwarz prägten das große Querformat, ein Werk, das an Sandstürme erinnert und an eine Landschaft, deren Boden ein Erdbeben aufgerissen hat. Bärbel Steffens fühlt sich Erdfarben gefühlsmäßig verbunden. Dabei mischt sie die Pigmente solange mit Sand, bis Strukturen entstehen, auf denen das Licht spielt.
Unter der Arbeitsplatte ihres Ateliers holt die Malerin einige Sandeimer hervor und lässt unterschiedliche Körnungen durch die Finger gleiten: grob, fein, hell, dunkel. Sie verwendete Sand, der sonst für Spielplätze oder Baustellen benutzt wird, zudem orangegelbe Erde aus der Toskana und lichtes Ocker aus der Provence. Sand ist für sie nichts anderes als im Laufe der Zeit geschliffene Steine: „In einer Welt, in der so vieles vergänglich ist, bleibt der Stein.“
Seit vielen Jahren verwendet Bärbel Steffens für ihre Bilder Titel in japanischer Sprache. Nicht um Verschlüsselung geht es ihr dabei, sondern um Konzentration auf das Wesentliche. „Gen“, was so viel wie dunkel und verborgen bedeutet, heißt eine ihrer schwarzen Farblandschaften, die sich über drei Hochformate erstreckt. Tagsüber dominiert darin das Schwarz. Abends, wenn sie das Licht anmacht, werden diese Bilder bunt. Unter dem Schwarz treten übermalte Farben zutage. Solche “mehrteiligen” Bilder stellt sie an den unterschiedlichsten Orten aus. Dass sie auch in Anwaltskanzleien hingen, findet sie gut; „Ich liebe intelligente Menschen, die überlegt handeln. Das sind interessante Betrachter für meine Bilder.“
Bärbel Steffens, Jahrgang 1945, hatte ein Leben vor der Malerei. Als junge Frau hat sie als Verwaltungsleiterin in einem Forschungsinstitut gearbeitet und später als Einkäuferin für das französische Modellabel Rodier. Mit 37 Jahren kommt es zum Bruch, privat und beruflich. Die Bremerin, die schon in ihrer Kindheit gern gemalt hat, wird Künstlerin — ein steiniger Weg. Um ihr Auge zu schulen, habe sie anfangs ganz artig Motive wie Häuser und Flüsse gemalt und andere Künstler kopiert, auch die Selbstbildnisse von Paula Modersohn-Becker, sagt sie. ln Bremen und in Worpswede erarbeitet sie sich schließlich ihren eigenen Stil.
Seitdem verwirklicht sie spannende Projekte. Für das Gerhard Marcks Haus in Bremen hat sie den begehbaren Tunnel „Ich bin – ich war — ich bin“ gebaut. Auf den Golfkrieg bezieht sich ihre Arbeit „Kuwait brennt“. ln dem Bild „Wiedervereinigung“ spielt pastoses Braun auf Nationalsozialisten und Stasi an. Dann ein weiterer Entwicklungsschritt: Seit 15 Jahren malt Bärbel Steffens abstrakt, obwohl sich diese Werke so viel schlechter verkaufen lassen als gegenständliche Kunst: „Wenn ich Dorfkinder wie Paula malen würde, wäre ich gefragt. Aber das ist einfach nicht mein Ding. lch kann nicht mehr zurück. Ich muss abstrakt malen.“
„Kata“ heißen zwei kleine Hochformate, in denen sie vulkanische Farben verdichtet hat. Dieses Rot ist für die Malerin immer auch Risiko: „Man muss unbedingt die Nuancen erhalten, obwohl die Gefahr besteht, dass ein großer Mischton entsteht.“ Sie selbst trägt am liebsten schwarz: Ihre Brille ist schwarz, ihr Lippenstift dunkel, sogar die Farben in dem Garten rund um ihr Haus in Ritterhude sind zurückgenommen. 30 Jahre lang hat sie diesen japanischen Garten gestaltet, die Brücke und einen Tempel platziert, Moose und Bäume gepflanzt und einen Teich angelegt, in dem sich der Himmel spiegelt.
Für Bärbel Steffens ist es ein Ort der Ruhe, der ihr — ganz im Sinn des Philosophen Laotse – den Weg zu ihrer Kunst weist: „Heimkehr zur Wurzel heißt: Stille. Stille heißt: Rückkehr zur Bestimmung. Rückkehr zur Bestimmung heißt: Ewigkeit. Erkennen des Ewigen heißt: Erleuchtung.“